Das Schirmemacherdorf Bo Sang



Vom Ursprung und der Herstellung der berühmten thailändischen Schirme

Michael Mannheimer (Text und Fotos)

Chiang Mai, Sept.1998
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Schirme für wie für Götter

Ob am Night-Bazar in Chaing Mai, in den Kunsthandwerksläden Bangkoks und Phukets oder auf den Ständen der zahllosen Märkte Thailands: überall trifft man auf die farbenprächtigen und kunstvollen Erzeugnisse aus dem Land des Lächelns: Jade, Lack- und Silberarbeiten, Holzschnitzereien mit einer Fülle an unterschiedlichsten Motiven aus dem traditionsbewußten  Kulturleben des Königreichs.

Eines der auffälligsten Produkte jedoch und wohl das bekannteste kunsthand-werkliche Wahrzeichen des Landes sind die Schirme aus der Provinz Chiang Mai. Es gibt sie in allen Größen: von winzigen Tischdekorationen mit einem Durchmesser von 5 cm (bei voller Funktions-fähigkeit!) bis hin Größen, die die Innenräume ganzer Restaurants umspannen.

In ihrer zarten Struktur aus filigranem Bambus und Papier verdeutlichen diese Schirme wohl mehr als jedes andere Produkt das besondere ästhetische Empfinden der Thais, das geprägt ist von tiefer Sehnsucht nach einer umfassenden Harmonie. Und die Zerbrechlichkeit der Schirme scheint wie ein Sinnbild für die buddhistische These der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit allen Seins – eine zentrale Lebensanschauung der tiefreligiösen Menschen Thailands.

Bo Sang: Ein ganzes Dorf lebt von und für Schirme

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts hat sich vor allem das Künstlerdorf Bo Sang auf die Erzeugnis dieser einzigartigen Schirme spezialisiert. Die Schirme werden aus zwei heimischen Rohstoffen erzeugt, die es in der Umgebung in Hülle und Fülle gibt: Bambus sowie dem Sa-Baum, aus dessen Rinde natürliches Papier gewonnen wird. Beide Materialien werden von geschulten und erfahrenen Handwerkern in jeweils separaten Arbeitsgängen vorbereitet und dann zum eigentliche Endprodukt zusammengebaut.

Der Sa (Foto links) ist ein kleiner Baum mit einer hellbraunen Rinde. Er wächst buschartig in größeren Gruppen und hat große, grüne und herabhängende Blätter. Man sieht ihn an vielen Zentren Bo Sangs, häufig dekoriert mit Schirmen verschiedener Größen und Motiven.

Bo Sang ist als das „Dorf der Schirmemacher“ weithin bekannt. Es liegt etwa 10 km südöstlich von Chiang Mai, Thailands zweitgrößter Stadt. Bereits unmittelbar an der Abbiegung der aus Chiang Mai kommenden Hauptstraße Sankampaeng kann man die ersten kleineren Manufakturen erkennen, in denen Sa-Papier hergestellt wird – heute noch genauso wie vor über 200 Jahren, mittels einfachster Werkzeuge und natürlich alles in Handarbeit.


Der Prozeß der Erstellung von Sa-Papier ist faszinierend und kompliziert zugleich. Nachdem die Rinde des Sa-Baumes in einem großen Blechfaß etwa 3 Stunden lang gekocht wurde (Foto links), wird sie danach mit einem großen Holzhammer so lange zerstoßen, bis sie ganz glatt und weich ist. An diesem Punkt hat die Rinde bereits ihre typische weiße Farbe, die natürliche Farbe von Sa-Papier. Danach wird die zerstoßene Rinde in große, mit warmem Wasser gefüllte Betonbottiche gegeben, wo sie mit langen Bambusstangen so lange gerührt wird, bis sich Flocken an der Oberfläche zeigen. Diese Flocken werden dann mit blauen Schirmen herausgeschöpft, wobei sich die Flocken auf der Oberseite der Schirme niederlegen, während das Wasser entweicht. Danach werden die Schirme werden dann zum Trocknen etwa 20 Minuten lang in die pralle Sonne gestellt (Foto links).

Das getrocknete Papier wird schließlich vom Schirm abgestreift, um es dann auf vorgefertigte Bambus-Gestelle aufzukleben, die später als Schirmdach dienen.

Die Arbeitsgänge zur Erzeugung dieser Bambusgestelle erfordern eine noch größere Geschicklichkeit und Geduld als die Herstellung des Sa-Papiers.  Roher Bambus, der den nahegelegenen Bambuswäldern entnommen wird, wird dafür zuerst in bearbeitbare Stücke geschnitten. Danach werden diese Stücke in eine insektentötende Flüssigkeit getaucht, um jede Art schädlicher Insekten oder sonstiger Mikroorganismen abzutöten. Danach werden die Stücke in dünne Streifen geschnitten, wie sie für die Rahmen und Gestelle der Schirme Verwendung finden. Nachdem die Gestelle gebaut wurden, werden sie noch einmal in die Lösung getaucht und dann zum Trocknen ausgesetzt.

Die Schirmspitze schließlich sowie der Schaft werden von Spezialisten hergestellt, die an altertümlichen Drehbänken arbeiten, ganz so, wie sie vor Hunderten von Jahren in Nordthailand schon benutzt wurden.

Der letzte Schritt, bevor ein Schirm in den Verkauf geht, ist schließlich das Bemalen des Schirmdaches. Eine ganze Reihe von Künstlern versieht die Schirme meist mit den traditionellen Blumen- oder Vogelmotiven Nordthailands. Aber daneben gibt es auch eine große Auswahl chinesischer Drachenmotive, Schmetterlinge, und jede Art klassischer nordthailändischer Designs.

Der Besuch Bo Sangs sowie der benachbarten Handwerksdörfer zählt mittlerweile zum Standard-Programm von Gruppenreisen nach Chiang Mai. Aber auch für Individualreisende lohnt sich ein halbtägiger Abstecher. Bereits ab 100 Baht sind die  Tuk-Tuk-Fahrer nur allzu bereit, Touristen zu den verschiedensten Manufakturen zu fahren.

Die Besucher sind in den meisten Manufakturen denn auch höchst willkommene Gäste. Bei einer Tasse Tee oder einem Glas Cola wird ihnen in mehrsprachigen Führungen von besonders dafür geschulten Angestellten der komplizierte Arbeitsprozeß erläutert, natürlich auch im Hinblick auf ein mögliches gutes Geschäft. Und dann haben auch die Tuk-Tuk-Fahrer ihre Freude daran, fällt doch ein Teil des Geschäfts als Provision auch für sie ab.